Die zarte Stimme der Elfe durchbrach die Stille im großen Ratsaal. Ihre Worte hallten einige Sekunden nach und dass nicht nur im Raum, sondern auch in den Köpfen der anderen Ratsmitglieder. Soleah strich sich mit der Hand ein paar ihrer Goldblonden Stähnen aus dem Gesicht. Sie seufzte. Wie oft hatte der Rat nun schon diese Diskussion geführt? Wie oft waren sie schon auf die immer wieder gleiche Lösung gekommen? Und heute war ausgerechnet sie es, die das vor schlug, was schon seit Jahren aufs neue Vorgeschlagen wurde. Sie schaute die anderen Mitglieder an, die versammelt an dem großen, runden Tisch saßen. Viele von ihnen blickten Nachdenklich auf die aus Ebenholz gefertigte Tischplatte. Andere wiederum starrten verzweifelt und ratlos ins Leere. Der Blick der Elfe blieb jedoch an Dwar hängen, der Zwerg im Kreise des Rates. Sein Gesichtsausdruck war geradezu grimmig und Soleah meinte hören zu können wie er energisch schnaubte. Es dauerte keine Sekunde bis Dwar von seinem Stuhl aufgesprungen war und seine Hände lautstark auf die Tischplatte schlug.
„Wir haben lange genug gewartet! Uns fehlt die Zeit! Wer weiß, in zwei Jahren haben sie unsere Welt schon so sehr verpestet, dass nicht einmal ein Grashalm dort überleben könnte!“
Die raue, dunkle Stimme des Zwerges sorgte bei vielen Ratmitgliedern für Gänsehaut, doch sie wussten dass er recht hatte mit dem was er sagte. Und sie wussten auch, dass nun gehandelt werden musste. Ronan, ein großer dunkelhäutiger Ork legte Dwar seine Hand auf die Schulter und drückte ihn zurück in seinen Stuhl. Einige Sekunden des Schweigens vergingen, bis plötzlich der Erzmagier in der Runde zu sprechen begann.
„Es stimmt. Wir haben keine Zeit. Wir haben keine Zeit und keine Wahl. Wir müssen handeln, und zwar sofort“. Er fuhr sich mit der Hand durch seinen langen, weißen Bart und schaute in die Runde.
„Es wäre reiner Selbstmord nun eine Armee loszuschicken. Das macht keinen Sinn.“, erläuterte Jarev, der Vampir.
„Dann müssen wir sie von Innen vernichten.“, Ronan zückte sein Schwert und strich mit seinen Fingern sanft über das schwarze Metall der Klinge.
„Weg mit der Waffe, Ronan.“, wandte der Erzmagier ein. „Auch wenn wir kaum Zeit haben, dürfen wir nicht zu voreilig handeln. Wir brauchen Informationen. Informationen über ihr Heer und ihre Waffen. Wir müssen den Feind kennen, den wir zu besiegen versuchen“
„Und von wem genau sollen wir diese Informationen bekommen?“, wandte Soleah ein und blickte den Erzmagier fragend an. Dieser jedoch war schon aufgestanden und verließ schnellen Schrittes den Ratsaal.
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Es waren die ersten Sonnenstrahlen, die Aidens Nase kitzelten und sie aus dem Schlaf weckten. Der Morgen war kaum angebrochen und durch das verstaubte Fenster des alten Zimmers konnte man milchigen Nebel erkennen, der sich durch die Straßen und Gassen der Hauptstadt schlängelte. Aiden richtete sich auf und begann sich anzukleiden. Es war immer wieder mühsam sich in das lederne Oberteil zu zwängen, doch es bot Schutz und deshalb wollte Aiden nicht darauf verzichten. Ihre schwarzen Stiefel hatten sich mittlerweile perfekt an ihre Beine angepasst, fast wie eine zweite Haut, und auch der Umhang war ihr wichtig. Er glänzte zwar nicht mehr so dunkelgrün wie vorher, aber bei einem Leben in dem man ständig auf Reisen ist, war das kein Wunder.
Aiden erhob sich und griff nach ihrem braunen Beutel. Sie hatte gestern einige ihrer Tränke verkaufen können und auf dem Schwarzmarkt war sie sogar Gifte losgeworden. Sie grinste als sie die Münzen klirren hörte und begab sich aus dem Zimmer hinunter in die Schankstube der Taverne.
„Aiden!“, rief die Schankfrau hörbar aufgebracht, nachdem sie die letzte Stufe der Treppe hinabgestiegen war. Hier in dieser Taverne kannte man sie gut, denn Aiden kam regelmäßig her wenn sie in der Stadt war um ihre Tränke zu verkaufen. Die Schankfrau war eine wohlgenährte, schwarzhaarige Frau, die man ohne ihre verfettete Schürze wohl gar nicht erkennen würde. Sie war nett und immerzu hilfsbereit. Eine solche Schankfrau war schon fast eine Seltenheit. Vielleicht kam Aiden deshalb immer hier her. Weil die Menschen, die diese Taverne aufsuchten, anständig waren und man nachts nicht von Prügeleien oder lallenden Gesängen der Betrunkenen ausgehen musste.
„Ja?“, Aiden drehte sich um und lächelte der Frau zu. Diese jedoch schien weniger erfreut als verängstigt.
„Ich...ich hab' da was für dich“, begann sie zu sprechen und zückte unter ihrer Schürze einen Umschlag hervor, verschlossen durch goldenen Wachs, in dem das Siegel des Rates graviert wurde. Aiden nahm den Brief verwirrt entgegen und starrte ihn einige Sekunden ungläubig an. Sie setzte sich an einen der leeren Tische und begann ihn vorsichtig zu öffnen. Ein kurzer Blick zur Seite verriet ihr, dass sich die Schankfrau zu ihr gesetzt hatte und sie erwartungsvoll ansah.
Aidens Augen weiteten sich, während sie den Brief las.
„Da will mir doch jemand einen Bären aufbinden...“, murmelte sie leise, aber dennoch verständlich. „Wer hat ihn dir gegeben?“
„Einer der Boten vom Rat.“
„Und da bist du dir sicher? Niemand der sich verkleidet hat? "
„Ja, ganz sicher. Aiden, was ist denn?“, die Schankfrau blickte das Mädchen nun noch verängstigter und besorgter an als zuvor.
„Nichts.“, log Aiden, verstaute den Brief in ihrem Beutel und verließ wortlos die Taverne.
Der Rat wollte sie sprechen. Da sollte sie sich nicht verspäten.