Fantasy- und Schreibforum

Wanja und Sira Kj7b-8-c9f0

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    Wanja und Sira

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    Beitrag von marismeno Mi Mai 09, 2018 3:09 pm

    Erleichtert ließ sich Wanja am Tor der staubigen kleinen Stadt aus dem Sattel gleiten, endlich, nach Stunden und Stunden Reitens unter der glühenden Sonne. Bei den Göttern, er war ein Sohn der kühlen Steppen Amudarias! Diese Hitze war nichts für ihn. Und auch nicht für sein Pferd. Aber immerhin: In Kürze würden die Tore für heute geschlossen werden, so dass keine Reisenden mehr von der Straße hereinströmen konnten. Der Staub würde sich legen und die Dämmerung würde Kühle bringen. Und Wanja würde vielleicht eine saubere Unterkunft und sogar eine Mahlzeit bekommen und ausruhen können.

    Er wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und sah sich träge um. Vier bewaffnete Wächter standen am Tor und kontrollierten die Reisenden, welche in die Stadt wollten. Sie nahmen ihre Arbeit recht genau, im Gegensatz zu den Wachen anderer klysantrischer Städte, in denen er gewesen war. Suchten die Männer etwas oder jemand Bestimmtes? Oder forderte der Fürst dieser Stadt von ihnen nur besondere Strenge? Nun, jetzt hatte er es nicht mehr eilig. Wenn es noch ein Weilchen dauern sollte, bis er eingelassen wurde, sei es drum.

    Ein lautes Jammern ließ ihn zusammenzucken. Eine der Wachen hatte ein Kind am Arm gepackt. An einem erbarmungswürdig dünnen und schmutzigen Arm.



    So, nun kommst Du! Very Happy
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    Beitrag von Sue Do Mai 10, 2018 10:50 am

    Dieser Milan! Trotz seines sanften Namens war er ein fieser Schurke. Schon bei ihrer ersten Begegnung hätte ihr das klar sein müssen, als er ihre Muscheln zertreten hatte. Gut, er hatte sie von ihrem brennenden Dorf weggeholt, das war vielleicht ganz nett gewesen, aber dann hatte er sie durch das halbe Land gezerrt bis ihre Füße schmerzten, und nun saß sie in einer fremden Stadt am Sraßenrand wie eine Bettlerin. Noch dazu in einer Gegend, wo sie kein Wort von dem verstand, was die Leute sprachen. Ich komm in ein paar Tagen zurück. Stell nichts an. - ph! Wie ein Massal führte er sich auf. Sira tu dies, Sira tu das; nein, das musst du nicht wissen, meine Geschäfte gehen dich nichts an. Ein schöner Retter!
    Hätte er sie nicht kurz durch die Stadt führen können? Alles hier war so interessant. Oder wenigstens mit ihr in ein Gasthaus gehen - sie war noch nie in einem Gasthaus gewesen! Vom Straßenrand aus betrachtete sie das Treiben der vielen Menschen am frühen Morgen. In dieser Stadt war immer Markt, aber Milan hatte gesagt, es gehörte sich nicht, zu nahe am Markt herumzulungern, also war sie nur einmal kurz daran vorbeigelaufen. Die Nacht hatte sie unter einem Karren in einer Gasse verbracht. Geweckt worden war sie von einem Tritt und dem Wortschwall eines giftigen alten Weibes. Nun saß sie ein paar Gassen weiter und überlegte, was sie heute tun sollte. Wo konnte man hier pinkeln? Und einen Brunnen musste sie auch finden.

    Da, zwei bewaffnete Männer kamen die Gasse entlang. Eine Stadt, die so viele Wachen hatte! Das war beeindruckend. Oh, kamen die beiden auf sie zu? Was wollten sie? Mit beiden Händen packte sie die Tasche, in der ihr Talisman steckte, und hob trotzig das Kinn.
    Der eine Bewaffnete bellte ein paar barsche Worte - sie verstand überhaupt nichts.
    "Ich lungere nicht am Markt herum", sagte sie, doch die beiden wechselten nur ein paar kurze Worte, dann packte einer sie am Arm und zerrte sie auf die Füße.
    "He! Ich muss hier warten", versuchte sie ihn umzustimmen, aber es hatte keinen Sinn. Die Männer sahen sie nicht einmal an, sondern unterhielten sich über ihren Kopf hinweg, während sie sie aus der Gasse zogen, und ihren Arm dabei so fest gepackt hielten, dass es schmerzte.
    Was hatte sie denn falsch gemacht? Unsicher sah sie sich nach den Menschen auf den Straßen um. Was dachten sie nur jetzt von ihr? Aber keiner sah sie an - sie war dieser Stadt egal, dabei hatte sie sich so darauf gefreut, herzukommen! Nur ein kleiner Junge lachte sie aus. Das gab ihr einen kurzen Stich ins Herz.

    Sie erreichten das Stadttor. Die Wachen nickten zwei anderen zu, die sie durchließen und vor den Toren von sich stießen, so dass sie stolperte und hinfiel.
    "Aua! Was soll das? Ich hab nichts getan!" Doch die Männer hörten schon nicht mehr hin; sie gingen einfach weg.
    Und nun? Sira rappelte sich auf und tastete nach ihrer Tasche.
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    Beitrag von marismeno So Mai 13, 2018 3:39 pm

    *Entschuldige, dass ich so lange gebraucht habe. Ich hatte absolut keine Zeit, mich gedanklich auf die Situation einzustimmen und was Passendes zu verfassen..."



    Das Kind erhob sich unsicher, blieb aber dort stehen, wohin der Wachtmann es gestoßen hatte und starrte auf das Tor, durch das es so unsanft der Stadt verwiesen worden war. Dabei drückte es eine abgewetzte Tasche an sich. Es schien wirklich keine Ahnung zu haben, wohin es sich nun wenden sollte.

    "Wer bist du und was willst du in der Stadt?" Diese Frage des Torwächters richtete sich an Wanja. Dieser fuhr aus seiner Betrachtung des kleinen Mädchens auf und suchte sich an seine knappen Kenntnisse der klysantrischen Sprache zu erinnern. Glücklicherweise ähnelte sie sehr der katyrischen, welche er gut beherrschte, so dass viele Worte aus diesem Zusammenhang zu erraten waren. Er nannte also seinen Namen und fügte hinzu, dass er sich auf einer Studienreise befände und deshalb die hiesige Magierschule aufsuchen wolle. Dabei wies er das Empfehlungsschreiben Meister Tarsennas vor. Der 'Wachtposten brummte gnädig und reichte ihm das Schreiben zurück.
    "Sagt, was hat dieses Kind dort getan, dass es abends aus der Stadt gewiesen wird?" Wanja deutete mit einer Kopfbewegung zu dem kleinen Mädchen. "Hat es sich eines Vergehens schuldig gemacht?"
    "Auswärtige Bettler werden in der Stadt nicht geduldet. Gesetz des Fürsten. Wir haben genug einheimische durchzufüttern."
    "Ah, sie hat gebettelt? Und ist nicht von hier? Aber ein so junges Kind kann doch nicht allein hierher gereist sein. Sie muss Angehörige haben, die sich Sorgen machen, wenn sie zur Nacht nicht heimkommt. Und wenn ein so hübsches Mädchen allein vor dem Stadttor übernachtet, muss man befürchten, dass es belästigt wird oder Schlimmeres."

    In der Tat hatte das kleine Mädchen, es musste ungefähr acht bis zehn Jahre alt sein, eine hübsche Zartheit an sich wie ein junges Reh. Die großen, ängstlichen dunklen Augen in dem dunklen Gesicht verstärkten diese Wirkung noch.

    Der Wachtmann zuckte mit den Schultern. "Nicht mein Problem. Wir haben unsere Befehle. Wollt Ihr jetzt in die Stadt hinein oder nicht? Wir schließen gleich das Tor für die Nacht."

    Wanja blickte unentschlossen auf das Kind. Er konnte es doch nicht hier seinem Schicksal überlassen! Die Vorstellung, eine seiner Schwestern wäre so allein und wehrlos unter Fremden, ...
    Amudaren halfen einander und auch jedem fremden Reisenden, der Schutz und Hilfe brauchte. So war es Brauch unter Nomaden, die ja selber ständig auf Reisen waren.

    "Ich habe es mir überlegt. Die Nacht verbringe ich hier im Freien und gehe dann erst morgen früh in die Stadt hinein. Danke."

    Der Wachtmann zuckte abermals mit den Schultern und wechselte einige Worte mit seinen Kameraden, zu schnell, als dass Wanja sie hätte verstehen können. Aber die anderen lachten spöttisch, als sie begannen, die Torflügel zuzuschieben, also handelte es sich vermutlich um eine Bemerkung über dumme Ausländer, die nicht wussten, was sie wollten. Mit einem abschließenden Knall fielen die schweren Tore ins Schloss und die Wachen zogen sich durch die Schlupftür in die Sicherheit der Wüstenstadt zurück.

    Kein weiches Nachtlager also, keine zubereitete Mahlzeit. Keine ausgiebige Wäsche an einem kühlen Brunnen. Wanja seufzte. Nun, dies war nicht die erste Nacht seines Lebens, in der er auf all das verzichten musste. In seiner Satteltasche hatte er noch ein Stück Brot, das ihn und vermutlich auch ein kleines Kind sättigen würde. Und für das Pferd würde sich vermutlich ein wenig Gras finden lassen.

    Er holte das Brot hervor, brach es in der Mitte durch, während er auf das Kind zu ging. Als er es ihm hin hielt, starrte es ihn misstrauisch an.
    "Hast du Hunger, Kleine?"
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    Beitrag von Sue Mo Mai 14, 2018 10:01 pm

    Sira hatte sich noch immer nicht entschlossen, was sie tun sollte. Sie hatte Hunger und Durst und musste pinkeln. Vor den Stadttoren gab es ein paar windschiefe Hütten, aber kein Gebüsch, wohin sie sich hätte verziehen können. Da hätte sie schon ein Stück von der Stadt weggehen müssen. Weiter hinten war die steinige Steppe teilweise bewachsen, und vielleicht könnte sie dort auch eine Eidechse fangen. Die schmeckten gar nicht so schlecht.
    Aber was war mit Milan? Dort würde er sie ganz gewiss nicht finden, doch er war der einzige, der ihre Sprache sprach. Sie war auf ihn angewiesen. Auch wenn er keine große Hilfe war, kam sie sich verloren vor ohne ihn.
    Ob sie sich nicht einfach wieder in die Stadt schleichen konnte? Sie sah hinüber zu den Wachen und entdeckte einen schwarzhaarigen Mann mit einem Pferd am Zügel, der auf sie deutete. Er redete mit dem Wachmann, doch der zuckte nur die Schultern und wandte sich ab, um das Tor zu schließen.
    Dann kam der Fremde auf sie zu - würde sie schon wieder verscheucht werden? Nein, hier vor den Toren der Stadt hatte ihr keiner etwas zu sagen; sie würde bleiben, wo sie war!
    Trotzig sah sie geradeaus und wandte sich dem Fremden erst zu, als der Schatten seines Pferdes auf sie fiel. Er wirkte nicht so unfreundlich wie die Wachen. Zwar war sie vor Männern gewarnt worden, die allzu freundlich zu jungen Mädchen waren, aber darauf gab sie nicht viel. Pah, Nana hätte sie lieber vor solch gemeinen Kerlen wie Milan warnen sollen!
    Als der Fremde ein Stück Brot herausholte und ihr die Hälfte anbot, zögerte sie nicht lange und nahm es, bevor er es sich anders überlegte. Er hatte auch etwas zu ihr gesagt, aber seine Worte waren für sie ebenso unverständlich wie der Kauderwelsch der restlichen Menschen hier.
    Sie nickte dem Mann dankend zu, nahm einen kleinen Bissen vom Brot und kaute ihn in aller Ruhe - so würde es länger vorhalten. Peinlich achtete sie darauf, das Pferd nicht aus den Augen zu lassen. Wenn es so verfressen war wie die Ziegen aus ihrem Dorf, dann wäre sie ihr Mahl gleich wieder los.
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    Beitrag von marismeno Do Mai 17, 2018 10:46 pm

    Gestern mussten wir unser Pferd wegen einer Kolik in die Tiermedizinische Hochschule bringen und operieren lassen. Keine Zeit zum Schreiben. Jetzt ist es wieder besser.


    Das Mädchen kaute andächtig auf winzigen Bissen von ihrem trockenen Brot herum. Gewiss hatte sie nicht zum ersten mal im Leben Hunger. Ihre Blicke auf Wanja waren dabei ebenso misstrauisch, wie die auf sein Pferd. Er lächelte mitfühlend. Nicht nur zart wie ein Reh, sondern auch genauso scheu. Hatte sie wirklich niemanden, der auf sie aufpasste?

    "Was willst du jetzt tun?", fragte er sie. "Das Tor ist zu. Hast Du einen Ort zum Übernachten? Wo ist deine Familie? Werden sie dich nicht vermissen?"

    Dass er sie abermals ansprach, schien das Mädchen zu erschrecken. Was er sagte , hatte offenbar keine Bedeutung für sie. Sprach sie die hiesige Sprache etwa nicht? Er versuchte es mit Kathyri und Ormurisch, sogar mit der Sprache Vinitessas, die auch hier manche Händler beherrschten. Aber keine davon weckte einen Funken des Verstehens im Ausdruck des Kindes.
    Nun, er konnte nicht die ganz Nacht hier vor dem Tor stehen. Da er nun einmal im Freien würde übernachten müssen, war es an der Zeit, einen geeigneten Platz zu suchen. Er brauchte Wasser und Gras für das Pferd, wenn möglich ein wenig Brennholz, ... Vermutlich würde er einiges davon in den Hügeln finden, an denen er vorhin vorbei gekommen war. Vielleicht würde die Kleine ja während der Nacht dort in seiner Nähe bleiben, so dass er sie unter seinen Schutz nehmen konnte.

    Er ging zwei Schritte vom Stadttor fort und sah sich fragend nach ihr um, machte eine einladende Handbewegung. Wenn sie keine gemeinsame Sprache kannten, würden Gesten und Zeichen ausreichen müssen.
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    Beitrag von Sue Fr Mai 25, 2018 8:45 pm

    Es sah ganz danach aus, als wolle der Fremde sie einladen, mitzukommen. Sira blinzelte und überlegte kurz. Er hatte ihr Brot gegeben und schien freundlich zu sein. Wenn er ihr Böses wollte, würde ihn hier bestimmt niemand daran hindern, dafür hätte er nicht sein Brot mit ihr teilen müssen. Und wenn er Brot hatte, hatte er vielleicht auch Wasser.
    Zögernd ging sie einen Schritt in seine Richtung. Was war mit Milan? Würde er sie suchen, wenn er feststellte, dass sie nicht mehr in der Stadt war? Ach, momentan war das egal - die paar Tage, die er wegbleiben wollte, waren noch lange nicht um. Also brauchte sie sich vorerst nicht darum zu sorgen.

    Der Fremde schlenderte weiter, das Pferd am Zügel. Irgendwie kam sie sich blöd dabei vor, ihm wie ein zahmes Zicklein hinterherzulaufen, also trödelte sie ein wenig. Sie spielte mit ihren nackten Füßen im Staub, schlenderte um vertrocknete Pflanzen herum und trat auf flache Steine am Wegrand, achtete aber darauf, grob seine Richtung einzuhalten. Jeder, der netter war als Milan, würde davon absehen, sie zur Eile anzutreiben. Und weiter als nötig würde sie ihm sowieso nicht folgen. Sie musste immer noch in die Büsche, und falls es ein gutes Nachtlager in der Nähe gab, würde sie einfach dortbleiben.
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    Beitrag von marismeno Mo Mai 28, 2018 4:20 pm

    Dass das kleine Mädchen ihm folgte, beruhigte Wanja. Und dass sie so offensichtlich bummelte, störte ihn nicht besonders. Der Tag war schweißtreibend genug gewesen, so dass Wanja kein Bedürfnis verspürte, zu eilen. Aber sein Pferd hatte Hunger und Durst und strebte dem kühlen Hügelland zu, wo es Wasser witterte. Dort musste welches fließen, denn anderenfalls wäre da oben nicht überall Gesträuch gewachsen. Das Tier drängelte ungeduldig und er musste es mehrmals zum Gehorsam mahnen.

    Zwischen den dünnen Stämmen hindurch sah man das Licht kleiner Feuer schimmern. Auch andere Reisende, so schien es, hatten sich diesen Ort nahe der Stadt zum Übernachten ausgesucht. Man durfte keinesfalls davon ausgehen, dass sie alle ehrlich und vertrauenswürdig waren. Er warf dem Kind einen Blick über die Schulter zu. Ja, sie folgte ihm immer noch, so im Großen und Ganzen, gewiss immer noch unschlüssig, ob sie damit das Richtige tat. Wenn er sich ihr nur verständlich machen könnte! Sie sollte sich besser dicht bei ihm halten, um niemanden auf dumme Gedanken zu bringen.

    Leises Glucksen wies ihm den Weg zu einem jener kleinen Rinnsale, welche von den Hügeln herunter kamen. An diesem Gewässer würde er versuchen, ein geeignetes  Plätzchen zu finden. Mal sehen, wo noch etwas frei war. Am Wasser würde das Gedränge groß sein. Vielleicht würde man nach dem Trinken sogar einen Schlafplatz abseits des Rinnsals suchen müssen.

    Plötzlich blieb er stehen: Er hörte die Schritte des Kindes nicht mehr.

    "Kleine?"

    Er lauschte.

    Nichts. Wo war sie geblieben?

    Aber noch während er überlegte, tauchte sie aus dem Unterholz wieder auf, ihre Kleidung mit einigen letzten Handgriffen richtend, und funkelte ihn abweisend an.
    Ach so. Er grinste. Sie hatte nur urinieren müssen. 
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    Beitrag von marismeno Fr Jun 15, 2018 2:39 pm

    Dieses Plätzchen dort schien ihm schließlich als Nachtlager geeignet. Er hielt sein Pferd an, nahm ihm Sattel und Zaumzeug ab und entließ das Tier zum Grasen.

    Das Mädchen war am Weg stehen geblieben, misstrauisch und fluchtbereit. Doch als er begann, Gräser und dürre, harzige Zweige für ein Feuer zu sammeln, sah sie nicht lange zu, sondern tat es ihm nach. Faul war sie offenbar nicht. Das Häufchen, das sie schließlich zusammen bekamen, war nicht beeindruckend und würde schnell verbrannt sein. Frühere Reisende hatten schon das meiste verbraucht, was es an Brennmaterial zu finden gab. Nun ja, Wanja hatte sowieso nichts mehr in seinen Satteltaschen, was sie kochen oder braten konnten. Das Feuer würde lediglich den Anschein eines Herdfeuers, die Illusion eines "Zuhauses" erwecken können. 

    Er schob das Bedauern an die entgangene Mahlzeit in der Stadt beiseite, setzte sich neben sein Gepäck und ordnete den Sattel und dessen Decke zu einem einfachen Schlafplatz. Seine warme Wolldecke warf er dem Kind zu. Es würde sie dringender brauchen als er. Sie landete zu den Füßen des Mädchens, doch es bückte sich nicht danach. Ihre Augen waren dunkel und unergründlich.

    "Es wird kalt werden, in der Nacht", sagte er. "Du kannst sie ruhig benutzen, wenn du sie mir morgen wieder gibst." Er musterte sie noch einen Augenblick und begann dann mit seinem Feuerstein und dem Messer Funken zu schlagen, um das kümmerliche Feuer in Brand zu setzten. Er begann sich zu fragen, worauf er sich mit dem Kind eingelassen hatte. Es wäre ja beispielsweise nicht das erste Mal, dass ein hilflos wirkendes, hübsches Kind von Straßenräubern als Köder eingesetzt wurde. Nun, weder war er leicht zu überfallen, noch besaß er außer seinen Waffen und seinem Pferd stehlenswertes Gut. Jeder mögliche Straßenräuber würde eine Enttäuschung erleben.


    Zuletzt von marismeno am Fr Jun 22, 2018 2:19 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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    Beitrag von marismeno Mi Jun 20, 2018 11:37 am

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    Beitrag von Sue Mo Jun 25, 2018 9:38 pm

    Milan hatte Sira oft gepredigt, was einen guten Lagerplatz ausmacht, und dieser hier, den der Fremde ausgesucht hatte, war in Ordnung. Es waren Büsche in der Nähe, aber der Platz war weder zu versteckt, noch von der Straße aus direkt einsehbar. Und in Hörweite lagerten noch weitere Menschen.
    Sira hielt sich fern von deren Lager, als sie etwas Feuerholz zusammensuchte. Das Feuer war zwar nicht groß, aber die Funken tanzten fröhlich in den Himmel - sie sah ihnen gedankenverloren nach. Sie mochte Feuer, besaß selbst aber keine Feuersteine oder dergleichen. Für die Idee mit dem Feuer verzieh sie dem Fremden sogar, dass er sie beinahe beim Pinkeln gestört hatte.
    Er warf ihr eine Decke zu. Auch wenn sie kein Wort von dem verstand, was er zu ihr sagte, war klar, dass sie für sie bestimmt war. Nett von ihm. Wie er wohl hieß?
    Sie nahm die Decke, wickelte sich hinein, zeigte mit dem Finger auf sich selbst und sagte: "Sira."
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    Beitrag von marismeno Di Jun 26, 2018 3:12 pm

    "Sira?" Wanja sah auf. "Ist das dein Name?"

    Er bemerkte, dass einige der dürren Gräser zu glimmen begannen, und blies behutsam dagegen. Die Glut wurde heller, dann züngelten kleine Flammen an den Halmen entlang. Zufrieden stieß er ein Brummen aus. Jetzt nur nichts überstürzen! Weitere Halme und dürre Blätter nährten diese ersten Flammen bis er es wagen konnte, kleine Zweige darauf zu legen.

    "Ich heiße Wanja", sagte er dann. Da nicht gleich eine Antwort kam, warf er ihr wieder einen Blick zu. Ihre Stirn war gerunzelt, vermutlich hatte sie nicht verstanden. Zu viele Worte! Immer redete er zuviel unnützes Zeug. Ihre Geste war viel eindeutiger gewesen. "Wanja", sagte er, seine Linke auf die eigene Brust legend. "Wanja Bajarin, aus Amudaria."
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    Beitrag von Sue Di Jun 26, 2018 6:06 pm

    Wanja? Sira kicherte, als sie seinen Namen hörte, und wiederholte ihn laut. Er klang wie ein Frauenname! Der bewaffnete Mann wirkte plötzlich viel mehr wie ein Verbündeter auf sie, wie ein Vertrauter, der einem ohne Zögern seine Schwächen zeigt.
    Sie zeigte auf das Pferd, um dessen Namen zu erfahren. Vielleicht war er ja ebenso lustig.
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    Beitrag von marismeno Sa Jun 30, 2018 12:23 pm

    Auch Wanja musste lächeln. Schon oft hatte sein Name außerhalb Amudarias für Belustigung gesorgt, aber dieses Kichern war so offen und ungekünstelt, wie es nur von einem ganz unbefangenen Menschen kommen konnte. Schlagartig nahm es der Kleinen alles geheimnisvoll Fremde und ließ sie einfach Kind sein. Sira, nicht Kleine. Sie hatte einen Namen. Und eine niedliche Stimme.

    Und nun zeigte sie mit einem fragenden, nein, einem erwartungsvoll fordernden Gesichtsausdruck auf sein Pferd.
    "Wie mein Pferd heißt, willst du wissen? Sein Name ist Bajar, nach meiner Familie. Ich dachte, es wäre nett, den Namen auch in der Fremde ab und zu aussprechen zu können."
    Der Hengst hob den Kopf, als er seinen Namen hörte, wandte sich seinem Herrn zu und spitzte die Ohren.
    "Ist schon gut, Junge. Alles in Ordnung."
    Beruhigt senkte das Tier wieder seinen Kopf und fraß weiter.
    Verdammt, er redete zu viel! Sie würde kein Wort verstehen, von dem, was er hier von sich gab. Genauso gut konnte er Selbstgespräche führen.
    Aber auch wenn Sira ihn nicht verstehen konnte, ihr fröhliches Gesicht war eine angenehme Abwechslung zu den abweisenden Mienen mürrischer Händler und Krieger. Es machte Spaß, sie zum Lachen zu bringen.
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    Beitrag von Sue Sa Jun 30, 2018 1:55 pm

    Oh, jetzt hatte er schon wieder so viel gesagt! Das erste war wohl eine Frage gewesen, aber mehr hatte sie nicht verstanden. In ihrem Heimatdorf gab es ein Sprichwort, irgendetwas mit Spare an Worten ... Ach, es wollte ihr nicht mehr einfallen. Aber sie hätte es ihm sowieso nicht sagen können.

    "Ich verstehe nichts", antwortete Sira in der Sprache ihrer Heimat und zuckte die Schultern, um zu unterstreichen, was sie meinte.
    Noch einmal zeigte sie auf sich selbst - "Sira!" - und dann auf ihn - "Wanja!" -, wobei sie schon wieder ein Kichern unterdrücken musste. Anschließend deutete sie auf das Pferd und hob erneut die Schultern.


    Zuletzt von Sue am Sa Jun 30, 2018 5:40 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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    Beitrag von marismeno Sa Jun 30, 2018 2:57 pm

    "Bajar", wiederholte Wanja folgsam und zeigte ebenfalls auf das Pferd. Zeigen war so viel einfacher als Sprechen.

    Plötzlich hatte er eine Idee. Vielleicht würde er so erfahren, ob das Kind Angehörige hatte, zu denen es zurükkehren konnte. Er suchte sich ein Stöckchen aus dem kleinen Holzstapel aus und begann in den Sand zu zeichen: Ein Pferd und einen Mann. Ein wenig davon entfernt eine kleinere Gestalt mit Kleid und langem Haar, ein Mädchen. Ein Stück der Stadtmauer mit ihren markanten Zinnen und dem Turm.

    "Sira?" Er winkte sie näher und deutete auf seine Zeichnung, die im schwachen, flackernden Licht des Feuerchens kaum zu erkennen war.
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    Beitrag von Sue Di Jul 03, 2018 3:08 pm

    Bajar hieß das Pferd also? Wanjabajarwanjabajarwanjabajar ... Das klang sicher lustig, wenn man es ganz schnell hintereinander sagte. Sira hätte gern ausprobiert, wie oft sie es sagen konnte, ohne sich dabei die Zunge zu verknoten, aber sie wollte nicht von Wanja ausgelacht werden. Milan zumindest hatte sie oft ausgelacht, wenn sie vor sich hin sang. Nein, heute wollte sie erwachsener wirken.

    Im nächsten Moment musste sie aber doch wieder auflachen, denn Wanja begann, etwas mit einem Stock in den Sand zu kratzen. Wie oft hatte sie das daheim am Flussufer gemacht! Er zeichnete einen Hund - nein, ein Pferd! -, und daneben einen Menschen. Ein bisschen sah es aus, als würde das Pferd dem Menschen die Hand abbeißen, und sie musste kichern. Sollte er das selbst sein?
    Er zeichnete weiter, und sie rückte näher. um im Dunkeln besser sehen zu können. Die nächste Gestalt war eine Frau, nein, ein Mädchen, wenn man die Körpergröße bedachte. Die langen Haare wirkten fremdartig; das krause Haar der Menschen ihrer Heimat wurden niemals so lang. Ob es ein Mädchen aus dieser Stadt war? Oder aus seiner Heimat? Nein, es musste von hier sein, denn als nächstes zeichnete Wanja die Mauern der Stadt und einen Wachturm in den Hintergrund. Dann winkte er sie näher.

    Sira nahm das Stöckchen, das er abgelegt hatte, und begann nun ebenfalls ein Bild in den Sand zu zeichnen, ein neues Bild neben das alte. Mit sich selbst begann sie, ein Mädchen mit einem Haarknoten. Die Zahnlücken bekam sie leider nicht hin auf dem groben Grund. Trotzdem, man konnte sie recht gut erkennen, dachte sie. "Sira", sagte sie zur Bekräftigung.
    Dann flossen wie von selbst Details aus ihrer Heimat in das Bild: Die grelle Sonne, der große Fluss, Muscheln auf dessen Sandstrand, reetgedeckte Hütten und die faule Dorfkatze, die sich im Schatten fläzte. Sira war sich nicht sicher, ob man alles erkennen konnte.
    Plötzlich kam ein bekommenes Gefühl in ihr auf: Das alles war nicht mehr. War das Bild überhaupt für Wanjas Augen bestimmt? Peinlich berührt sah sie zu dem fremden Mann auf, und das Feuer, das sich in seinen Augen widerspiegelte, griff schlagartig auf das Bild von ihrem Dorf über. Flammen leckten an den Hütten, Menschen schrien, und sie selbst wurde, stumm vor Schreck, von Milan gepackt und aus ihrem Versteck fortgezerrt, weg von der Gefahr, aber auch von allem, was sie kannte.

    Mit einem raschen Schlag ihres Armes wischte sie über das Bild und zerstörte es. Sie mochte Wanja nicht mehr ansehen, kroch auf die andere Seite des Feuers zurück und wickelte sich stumm in die Decke, ihm den Rücken zugedreht.
    Durstig war sie noch immer, aber nach Wasser fragen mochte sie heute nicht mehr.
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    Beitrag von marismeno Mi Jul 04, 2018 10:34 am

    Betroffen blickte Wanja von der verwischten Zeichung zu Sira und wieder zurück. Innerhalb eines einzigen Augenblicks war die ungezwungene Haltung des Kindes umgeschlagen. Angst! Nein, Entsetzen! Die Kleine musste Furchtbares erlebt haben. Das, was er von der Zeichnung vor deren Auslöschung hatte erkennen können, hatte nach Dorfleben ausgesehen, nach friedlichen Menschen, Tieren und Häusern. Sira inmitten ihrer Angehörigen. Was war geschehen? Wie hatte es das Kind danach hierher verschlagen, in eine Stadt, in der sie offensichtlich weder zuhause, noch erwünscht war? Ohne Worte würde er das nicht in Erfahrung bringen können.

    Und die nächste Frage war: Was sollte er jetzt mit dem Mädchen anfangen? Er sah wieder zu ihr hinüber. Sie hatte sich fast ganz unter der Decke verkrochen, nur ihr Haarschopf und ihre Füße sahen darunter hervor. Ein einsames, verstörtes kleines Mädchen, das vermutlich nicht wusste, wie es die nächsten Stunden überleben sollte, ganz zu schweigen von den nächsten Monaten und Jahren. Tiefes Mitleid erfüllte sein herz. Doch was sollte er mit ihr anfangen? Er war hier, um an der Magierschule Aufnahme zu erbitten. Würde man sie ihm gewähren, mit einem Kind im Gefolge? Würde er überhaupt morgen früh in die Stadt eingelassen werden, mit dem Kind, das die Wachen am Abend zuvor hinausgejagt hatten?

    Er fluchte lautlos. Das waren Fragen, auf die er erst morgen früh Antworten finden musste. Jetzt war jetzt, und da saß ein kleines Kind, das Trost brauchte. Sie hatte vorhin ein paar Bissen Brot gegessen, wenn es auch nicht viel gewesen war, das er ihr hatte geben können. Aber er hatte sie noch nicht trinken sehen. Bestimmt musste sie Durst haben. In diesem heißen trockenen Land klebte einem doch schon nach kurzer Zeit die Zunge wieder am Gaumen. Traute sie sich nicht, aus dem kleinen Rinnsal zu trinken, an dem sie lagerten? Sein Pferd hatte schon ausgiebig davon getrunken, und er vertraute darauf, dass Bajar wie alle Amudarenpferde ein sicheres Gespür für die Genießbarkeit von Wasser hatte. Deshalb erhob er sich und ging zu dem Gewässer hinüber, um seine leere Flasche dort zu füllen. Dann näherte er sich dem Kind um sie ihm anzubieten.


    Zuletzt von marismeno am Do Jul 12, 2018 12:20 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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    Beitrag von Sue Mo Jul 09, 2018 6:32 pm

    Sira hatte sich in die Decke vergraben und versuchte, an nichts zu denken. Sie hatte nicht einmal Lust, ihren Glücksbringer in die Hand zu nehmen, auch wenn er ihr sonst immer Trost spendete. Sie ließ den goldenen Stein, wo er war - er gehörte ihr und keiner brauchte ihn zu sehen. Es hatte ihr schon genügt. dass Milan dauernd an ihm herumgefingert hatte. Ein Glück hatte sie ihn wieder, aber noch jemandem würde sie ihn nicht zeigen!
    Etwas plätscherte, dann hörte sie Schritte hinter sich. Es klang, als näherte Wanja sich absichtlich so laut, um sie nicht zu erschrecken. Die wohlbekannte Widerspenstigkeit, für die sie immer wieder von ihrer Mutter stets getadelt worden war, wirbelte in ihr auf - konnte er sie nicht in Ruhe lassen? War es nicht klar, dass sie heute mit niemandem mehr zu tun haben wollte?
    Sie raffte die Decke zusammen und stand auf, um sich ein paar Schritt vom Feuer zu entfernen. Das würde er nicht missverstehen. Dabei warf sie ihm einen bösen Blick zu - kurz blieben ihre Augen an der Wasserflasche hängen und der Bach fiel ihr ein. Ohne Wanja nochmals anzusehen, legte sie die Decke betont an ihrem neuen Platz ab. Wahrscheinlich sah er sie jetzt mit großen Augen an. Sie hasste es, seinen Blick im Rücken zu haben.
    Sira ging langsam auf den Bach zu, stellte sich hinein und ging in die Hocke, um aus den hohlen Händen zu trinken.
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    Beitrag von marismeno Do Jul 12, 2018 12:25 pm

    Na gut, diese Geste war deutlich genug. Sie wollte nichts von ihm, wollte in Ruhe gelassen werden. Vielleicht war es das Beste, wenn er dies respektierte. Was ging ihn schließlich dieses Kind an?

    Wanja zog sich auf die andere Seite des allmählich verglimmenden Feuerchens zurück. Er verstaute die Flasche sorgfältig in seine Satteltasche und streckte sich auf seinem Lager aus um nachzudenken. Morgen früh würde er zur Stadt zurückkehren, um sich an der Schule vorzustellen. Was sollte er dann mit dem Mädchen anstellen? Vielleicht würde sie verschwunden sein, wenn er aufwachte, und das mochte die einfachste Lösung sein. Ihr scheues Wesen, der verängstigte Ausdruck ihrer Augen ließen vermuten, dass sie sich an niemanden binden wollte. Menschen, die von anderen Schreckliches erlebt hatten, neigten zum Misstrauen. Und er konnte nicht jeden einzelnen Menschen retten, der hilfsbedürftig wirkte.

    Doch sein Gewissen nagte an ihm. Er wusste, dass er sich nicht einfach abwenden und seine Pläne weiter verfolgen konnte, als sei er ihr nie begegnet.
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    Beitrag von Sue Di Jul 17, 2018 2:20 pm

    Sira erkannte aus dem Augenwinkel, dass Wanja ihre Botschaft diesmal wohl verstanden hatte, denn er zog sich zurück und ließ sie zufrieden.
    Irgendwann, sie war schon halb eingeschlafen, weckte sie das Kratzen eines buddelnden Tieres in der Nähe, und sie kam sich seltsam vor, so zurückgezogen, ein bisschen als hätte die Welt sie vergessen. Konnte sie es wagen? Ja, Wanja lag an seinem Platz und schien ruhig zu atmen.
    Sie schlich mit seiner Decke zurück auf die gegenüberliegende Seite des Feuers und legte sich dort nieder.
    Dort angekommen, bekam sie ein schlechtes Gewissen, ihren Talisman zuvor in der Tasche gelassen zu haben wie einen gewöhnlichen Stein. Sie nahm ihn in die Hand und merkte bald, wie die glatte Oberfläche sie beruhigte, bis sie an nichts mehr dachte und einschlief.
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    Beitrag von marismeno Fr Jul 20, 2018 1:56 pm

    Das eindringliche Gefühl, dass etwas sehr Kraftvolles anwesend sei, ließ Wanja aus seinem leichten Schlaf erwachen. Angespannt aber reglos lauschte er in die Dunkelheit hinein. Nichts außer den gewöhnlichen Nachtgeräuschen der Halbwüste. Kleine Tiere. Wind. Das Glucksen des kleinen Gewässers. Der Atem des Pferdes und der des Kindes.

    Das Kind. Er hob den Kopf und sah sich nach ihm um. Die Kleine, Sira, schien tief zu schlafen, völlig in die Decke eingehüllt. Dennoch schien die kraftvolle Ausstrahlung aus ihrer Richtung zu kommen. Vielleicht tat sie es unbewusst, im Schlaf. Vielleicht besaß sie eine natürliche, angeborene Fähigkeit, von der sie nicht einmal etwas ahnte, und die sich im Schlaf manifestierte. In jedem Fall spürte Wanja, dass von dem Mädchen eine sehr starke Magie ausging.

    Er schauderte, zog sein Schwert, das er stets in Reichweite behielt, noch enger an sich und legte sich so zurecht, dass er Sira im Blick behalten konnte. Die Kleine war ihm ein Rätsel, das er ohne die Möglichkeit, mir ihr zu sprechen, auch nicht würde lösen können. Aus welchem Volk sie wohl stammte? Ihre dunkle Haut und das krause, zu einem Knoten geschlungene Haar erinnerten ihn an keine anderen Menschen, denen er jemals begegnet war. Wie hatte es sie hierher verschlagen, in eine Stadt, dessen Bewohner sie offenbar ebenfalls nicht verstehen konnte? Gewiss hatte sie doch jemand hierher mitgenommen, denn ein kleines Kind lief nicht allein so weit aus seiner Heimat fort. Ihre Familie? Freunde? Fremde Mitreisende? Aber warum war sie dann allein am Stadttor gewesen? Hatte sie ihre Angehörigen aus den Augen verloren? Hatte man sich ihrer entledigt? Wen konnte er bitten, zwischen ihnen zu übersetzen?

    Der Himmel über den dünnen Zweigen der Bäume war noch dunkel. Trotzdem glaubte Wanja, dass bald die kurze Dämmerung anbrechen würde, mit der in diesem Teil der Welt stets ein neuer Tag begann. Er konnte ohnehin nicht wieder einschlafen, und das mochte in Anwesenheit einer unbekannten und so beeindruckenden magischen Präsenz auch nicht ratsam sein. Diese Präsenz war nicht feindselig, war gar nicht aktiv auf irgendetwas Bestimmtes gerichtet. Sie war einfach nur da.

    Er würde Sira bei Tagesanbruch, sobald die Tore geöffnet wurden, wieder mit in die Stadt hinein nehmen. Gewiss würden die Wachen ihm das nicht verwehren, wenn er behauptete, sie gehöre zu ihm. Womöglich machte er sich ja einfach zu viele Gedanken und sie würde auf dem kürzesten Wege in die Unterkunft ihrer Angehörigen zurück finden.

    Die Finger seiner rechten Hand umschlossen das Heft seines Schwertes. Dies war vertraut, beinahe wie ein Teil seines Armes, eine Gewissheit, die nie in Frage stand. Wenigstens dieses Eine, in all den Jahren, die er inzwischen fern seiner eigenen Familie und Heimat war. Die Waffe war das einzige, was wirklich ihm gehörte, das einzige außer der Kleidung an seinem Leib, dem Pferd und dessen Sattelzeug, was er damals mitgenommen hatte.


    Zuletzt von marismeno am Mi Aug 01, 2018 3:29 pm bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
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    Beitrag von Sue Di Jul 24, 2018 7:45 pm

    Sira erwachte zur Morgendämmerung, wie immer, seit sie draußen schlief. Hier am Stadtrand sangen die Vögel ungewöhnlich laut; auf ihrer Reise mit Milan durch die Steppe hatte sie kaum je einen gehört, nur, wenn sie in der Nähe von Bäumen genächtigt hatten. Auf dem ersten dieser Bäume hatten sich hunderte von Vögeln zur Nachtruhe niedergelassen, schwarzgesprenkelte Stare, bunte Finken und ein paar rotbraune Steppensänger. Sira hatte sich direkt unter den Baum gelegt und ihrem Gezeter gelauscht - am nächsten Morgen hatte Milan sie ausgelacht, denn seine Kleidung war sauber geblieben.

    Sie schüttelte die Decke ab und stand auf. Das Pferd betrachtete sie ruhig, während Wanja noch zu schlafen schien. Sie wanderte ein Stück den Bach entlang und blickte zur Stadt hin. Was sollte sie heute tun? Weiter auf Milan warten? Ja, das wollte sie, aber es schadete sicher nichts, indessen bei Wanja zu bleiben. Er schien ein guter Beschützer zu sein.
    Sie machte einen Abstecher ins Gebüsch und spazierte noch ein wenig in der Gegend herum. Einer der Vögel in den kargen Sträuchern, eine gelbweiße Art mit kräftigem Schnabel, hatte ein ziemlich schrilles Kreischen, und sie versuchte es nachzuahmen.
    Als sie genug von dem Spiel hatte, und der Vogel empört davongeflogen war, kehrte sie zurück zum Lagerplatz. Ein laues Sirren ließ sie kurz zusammenfahren - eine Unzahl schillernder Fliegen hatte sich auf den frischen Pferdeäpfeln niedergelassen. Wo die wohl alle herkamen?
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    Beitrag von marismeno Mi Aug 01, 2018 4:09 pm

    Wanja lag mit geschlossenen Augen da und lauschte.

    Das Kind schien das zu tun, was Kinder nach dem Aufwachen so zu tun pflegen. Es gähnte, stand auf, verrichtete offenkundiug seine Notdurft. Dann lief es umher, ohne dass er erkennen konnte, zu welchem Zweck. Vielleicht spielte es. Nichts, was auf die Ausübung von Magie oder auch nur das Vorhandensein entsprechender Macht hindeutete. Genau genommen war von der bedrohlichen Wahrnehmung kaum noch etwas zu spüren. Beinahe glaubte er, sich geirrt zu haben. Aber nur beinahe.

    Sei es drum. Das Rätsel der nächtlichen Magieentfaltung würde sich ihm jetzt nicht von selber erklären.

    Er seufzte, als würde er erwachen, regte sich erst träge, dann setzte er sich auf und blickte sich nach Sira um. Sie kauerte ein Stück entfernt auf ihren Fersen und starrte fasziniert die Fliegen auf dem Mist seines Pferdes an. In der Tat waren sie wie ein zuckendes, schwarz schillerndes Federkleid, unter dem der Mist selber kaum zu erkennen war. Welch seltsamer Anblick das tatsächlich war, hatte er nie bewusst wahrgenommen. Die Ausscheidungen von Tieren waren für Angehörige eines Hirtenvolkes ein täglicher Anblick, der kaum zu faszinieren vermochte. Er schüttelte leicht den Kopf, verwundert über sich selber. Als die Kleine ihm prüfend ihre Aufmerksamkeit zu wandte, lächelte er und wünschte ihr in der hiesigen Sprache einen guten Morgen. Zweifellos verstand sie ihn abermals nicht, aber vielleicht würde es ihr helfen, wenn sie einige alltägliche Redewendungen erlernte.
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    Beitrag von Sue Di Aug 07, 2018 10:38 pm

    Wanja war nun auch aufgewacht. Er hatte ohne Decke geschlafen, dann hatte er wohl nur die eine? Sira sah zu, wie er sich reckte und schließlich aufsetzte. Er sagte ein paar fremdartig klingende Laute. Ob das wohl ein Morgengruß war? Rasch lief sie zu seiner Decke, die noch dort lag, wo sie geschlafen hatte, nahm sie, und legte sie ihm vor die Füße. Ganz staubig war sie geworden. Und jetzt? Im Dorf hatte sie gelernt, dass man immer höflich sein und sich bedanken sollte; Milan dagegen sagte, man konnte ruhig alles nehmen, was einem angeboten wurde.
    Sie entschloss sich zu einem Mittelding. "Guten Morgen!", sagte sie in der Sprache ihrer Heimat, der einzigen Sprache, die sie kannte. Er wusste ja sowieso nicht, was es bedeuten sollte.
    Hm, eigentlich war es wie eine Geheimsprache. Egal was sie sagte, er verstand sie nicht! Grinsend blickte sie von der Decke auf.
    "Sandkopf!", rief sie probeweise quer über den Platz und brach sofort in heftiges Kichern aus. Endlich konnte sie nach Herzenslust alles aussprechen, worauf sie gerade Lust hatte. "Ziegenpo!" Milan hätte das gar nicht komisch gefunden. Aber der fand sowieso gar nichts lustig. "Milan ist ein Miesmann!", kicherte sie.
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    Beitrag von marismeno Fr Aug 10, 2018 10:24 am

    Nun war sie wieder ganz und gar Kind, schwatzte Worte ihrer fremd klingenden Sprache und rannte kichernd umher. Wo war der Eindruck von Macht geblieben, der ihn nachts erschreckt hatte? Wanja grinste über ihre Kapriolen, bückte sich nach der Decke und schüttelte sie aus, ehe er sie zusammenrollte und wieder hinter seinen Sattel schnürte.

    Die Kleine hatte nicht erkannt, dass er sie die Grußworte der klysantrischen Sprache lehren wollte. wie sollte sie auch. Aber Wanja hatte nicht zum ersten Mal mit Menschen zu tun, deren Sprache er nicht kannte. Es half, seine Bereitschaft zur Verständigung dadurch zu zeigen, dass er ihre Worte wiederholte.

    "Sira?" So genau wie möglich sprach er das nach, was das Mädchen soeben gesagt hatte. Der Erfolg war umwerfend.

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